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Wie wir uns selbst vertrauen und einander vertrauen

Wie wir den Mut fassen, etwas anzusprechen, vor dem wir uns eher fürchteten.

Vor wenigen Tagen unterhielt ich mich mit einem guten Freund über ein Thema, das ihn derzeit sehr beschäftigt. Da gibt es etwas Persönliches, das zwischen ihm und seinem erwachsenen Sohn zu stehen scheint. Ihm ist, als würde sich, seit er mit seiner Frau zusammen ist, die Beziehung zusehend verschlechtern. Besuche finden wohl nur noch selten statt. Sein Bedauern darüber hatte er auch bereits bei seinem Sohn angesprochen, was kurze Zeit den Kontakt wieder vertiefte, sich dann jedoch wieder ausschlich. 

„Ich traue mich einfach nicht, dies erneut anzusprechen.“ 

Als ich das von meinem Freund hörte, wurde mir flau im Magen. Natürlich, ich könnte das Ganze therapeutisch betrachten. Doch als Freundin macht mich diese Befürchtung von ihm menschlich betroffen. Ich fragte mich: 

Warum trauen wir uns gerade bei Menschen, die wir lieben - ob unsere Partnerin, einen guten Freund oder den Sohn – nicht, offen anzusprechen, was uns bezüglich dieser Person bewegt? 

Sollte nicht gerade bei solchen vertrauten Menschen ein Vertrauen da sein, sich zu trauen? Ich habe das Gefühl, dass schon mit dem Wörtchen „trauen“ etwas mitschwingt, wie „mutig sein“, etwas zu tun. Viel leichter scheint es manchen Menschen zu fallen, gerade bei fremden Menschen seine Meinung kundzutun. Und das nicht immer auf die freundlichste Art. Okay. In „freundlich“ steckt auch wieder der Freund. Aber zumindest sozial verträglich. Nun schaue ich doch einmal als IFS (Inneres Familien System) -Coach und -Paartherapeutin auf diese Frage: Warum trauen wir uns oft bei Menschen, zu denen wir eine vertrauensvolle Beziehung haben (sollten) nicht, Dinge, die uns betreffen anzusprechen? 

Da ist meist die Befürchtung der Reaktion der Person. 

Dass diese etwas in den falschen Hals bekommen könnte? Dass sie uns mit Missachtung strafen könnte? Und die Sache dadurch noch schlimmer werden könnte? Dass wir verurteilt werden, für das, was wir sagen. Also für das, was uns bewegt. Was wir empfinden. Oder, dass wir die andere Person mit dem Gesagten verletzen könnten, sie sich verurteilt oder gar abgewertet fühlt? Am Ende die Beziehung gefährden. 

Denn in unserem tiefsten Inneren kennen wir Situationen, in denen wir Angst hatten, wenn wir etwas nicht so machen, wie sie oder er das wünscht, könnten wir verlassen werden. 

Und dabei sterben. Klingt hart, oder?  Doch als Baby und Kind gab es immer unzählige Situationen, in denen wir die Abhängigkeit von den uns wichtigsten Personen deutlich spürten. Wir waren nun mal nicht überlebensfähig, ohne dass sich jemand wärmend, fürsorgend und nährend um uns kümmerte. Es gab Situationen, in denen uns auch vermittelt wurde – zumeist aus absolut gutgemeinten Erziehungsabsichten – dass das, was wir taten, nicht in Ordnung sei. Und manchmal wurden wir dann auch betraft. Ob durch Schimpfen (verbale Gewalt) oder durch Androhung von Liebesentzug. Vielleicht auch durch körperliche Gewalt. Schwer auszumalen.
Und auch in späteren Jahren fanden wir uns möglicherweise in Situationen wieder, in denen wir der Gefahr ins Auge blickten, aus der Gruppe ausgestoßen zu werden (und dadurch nicht zu überleben - fragen Sie mal Ihr Reptiliengehirn, das dieses vor allem zu Urzeiten immens wichtige Wissen immer noch abgespeichert hat) Gerade in der Jugend erfahren wir immer mal wieder Ausgrenzung. Im Kleineren und im Größeren. Ich kenne das auch gut. Da ich immer die zierlichste unter all meinen FreundInnen war, fühlte ich mich oft nicht wertvoll genug. Die anderen (Mädchen) waren in meinen Augen immer hübscher, hatten die längeren Beine, den buchstäblichen Überblick. Und meinem großen Bruder, den ich damals vergötterte, war ich immer eher lästig.

Diese Erfahrungen können tief sitzen. 

Oft solang, bis wir erfahren und begreifen, dass wir in unserer heutigen Welt als Erwachsene nicht mit dem Tode bedroht sind, wenn wir uns bei jemanden vielleicht unbeliebt machen. Und wenn nicht gerade etwas ganz Gravierendes zwischen zwei Menschen passiert ist, wird uns dieser Mensch auch nicht wegen dem verlassen, was uns mit ihm auf der Seele lastet, über das wir mit ihm gerne sprechen möchten. Da ist doch Liebe! Liebe von den Eltern zu den Kindern. Liebe zwischen Lieblingsmenschen. Und auch zwischen Nachbarn ist da oft ein Band. Wenn uns das bewusst ist, können wir mit weniger Befürchtungen aufeinander zugehen. Und um das Ansprechen für beide Seiten angenehm - und damit auch mit Selbstvertrauen und Vertrauen - zu gestalten,

hier ein paar Gedanken, die helfen können, wieder Mut, wieder Vertrauen zu finden:

1. Welcher Teil in mir befürchtet, dass ich das nicht ansprechen kann? Wie alt fühle ich mich dann? 

2. Wie alt bin ich heute? Könnte ich als dieser Erwachsene meinen oft jüngeren Anteil, der die Furcht trägt, liebevoll an die Hand nehmen und ihm sagen, dass ich als heute Erwachsene das gut gestalten werde? 

3. Wie könnte ich das, was mich bewegt, bei der betreffenden Person ansprechen? Vielleicht ähnlich wie: 

„Louis, ich möchte gerne etwas ansprechen, das mich bewegt. Und eine Seite in mir befürchtet, dass das nicht gut sein könnte. Du bist mir wichtig. / Ich liebe Dich. / Unsere Beziehung ist für mich sehr wertvoll. Wenn ich also etwas sagen sollte, was Du doof findest, sieh mir das nach. Doch vielleicht kannst Du mich auch verstehen .. sicher sogar. Du bist mein Sohn / ich kenne Dich als einen mitfühlenden Mensch. Aaaaaalso, was ich auf dem Herzen habe, ist Folgendes …"

4. Sprechen Sie aus Ihrem Herzen. Voller Mitgefühl. Ohne Vorwürfe. Sondern darüber, was Sie fühlen, was Sie sich wünschen. Und geben Sie dann Raum und ein offenes Ohr für die Gedanken, Gefühle und Wünsche des anderen. Wenn Sie das aus einem liebenden Herzen - ohne Druck und Erwartung - ansprechen, spürt der / die andere das und wird auch eher aus dem Herzen reagieren. 

5. Und sollte die andere Person doch etwas in den falschen Hals bekommen, dann sprechen Sie auch dies mit offenem Herzen an: „Oh je, ich habe das Gefühl, dass Dich das nun doch mehr getroffen hat, als ich es erahnt hatte. Das tut mir sehr leid. Ich möchte doch, dass Du Dich gut fühlst. Und gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir …, da Du mir sehr wichtig bist.“

Trauen ist Vertrauen - in sich selbst. Selbstvertrauen, dass schon alles gut wird.
Und Trauen ist auch Vertrauen in die stabile Beziehung zwischen der anderen Person und mir. Vertrauen, dass auch die andere Person ein mit-fühlendes Wesen ist. 

Dass er/sie sich wünscht, dass wir eine gute Beziehung haben, in Liebe und Freundschaft. 

Herzlichst, Ihre Ana Prodinger